Boden im Doppel
Landwirtschaftlich genutzte Böden und Waldböden haben ganz unterschiedliche Wirkungen. Sophie Zechmeister-Boltenstern und Ernst Leitgeb über die zwei Seiten der „endlichen Ressource“ Boden und über ihren persönlichen Weg zur Bodenforschung.
Lichtung: Ihr könnt auf eine lange wissenschaftliche Karriere blicken. Wie hat sich die Bodenforschung verändert?
Ernst Leitgeb (EL): Zu Beginn war die Bodenkunde sehr auf die praktische Bewirtschaftung und auf umweltpolitische Fragen in den 1970er und 1980er Jahren („saurer Regen, Waldsterben“) bezogen. Die Themen Biodiversität und Bodenkohlenstoff drangen nach und nach in das Interesse der Wissenschaft. Schon seit einigen Jahren werden viele Fragstelllungen nutzungsübergreifend behandelt.
Sophie Zechmeister-Boltenstern (SZB): Aus meiner Sicht hat sich sehr viel verändert, die Bedeutung des Bodens ist heute viel präsenter in den Medien. Die EU-Mission Boden fördert Bodenforschung im Ausmaß von jährlich 100 Millionen Euro. Das Thema wird gleich wichtig behandelt wie die vier Themen Krebsforschung, Smart Cities, Klimawandelanpassung und Ozeane plus Gewässer. Auch in der Öffentlichkeit ist das Thema Boden angekommen: Große Supermarktketten und Lebensmittelfirmen werben mit gesunder Bodenbewirtschaftung. Auch in der Bodenwissenschaft hat sich das Geschlechterverhältnis stark verändert. In meiner Studienzeit waren in den Bodenforschung fast nur Männer, heute sind die Frauen sehr engagiert in diesem Bereich, in EJP-Soil beträgt der Frauenanteil 50 %, im Leitungsgremium des Programms, dem Executive Committee, sogar 80 %.
Könnt ihr euch noch an den Moment erinnern, in dem ihr euch für die Bodenforschung entschieden habt?
EL: Meine Diplomarbeit bei Prof. Krapfenbauer (BOKU) befasste sich mit Mykorrhiza. Naturgemäß kam ich dabei mit dem Boden in Berührung und bin dann der Boden- und Standortskunde treu geblieben.
SZB: Ich habe zu Beginn meines Studiums mehrere Sommer an einer kleinen Zweigstelle des Instituts für Verhaltensforschung am Wilhelminenberg gearbeitet. Es war das Institut für Ökosystemforschung der Österreichischen Akademie für Wissenschaften in Donnerskirchen im Burgenland. Dort habe ich viel mit Traubenkern-Kompost gearbeitet und über Kompostierung gelernt. Das hat mich fasziniert. In der biologischen Landwirtschaft spielte der Boden immer schon eine wichtige Rolle. Der Boden, besonders die Bodenbiologie, war eine Black Box. Man wusste nicht viel über das Leben im Boden, und es gibt heute noch viel zu entdecken.
Übrigens wäre es schön, wenn sich auch Laien mit Boden beschäftigen, denn letztendlich ist „Boden die Basis unseres Lebens“.
Wenn man das Wort Boden hört, meint man meist den landwirtschaftlich genutzten Boden, oder Boden, der versiegelt wird. Nehmt ihr das auch so wahr?
EL: Das stimmt sicherlich für die Versiegelung. Die Bedeutung eines gesunden Bodens für das Pflanzen- bzw. Baumwachstum und für die Biodiversität dringt immer mehr in die breite Öffentlichkeit. Die Schaffung eines Bodenbewusstseins wird am BFW schon seit vielen Jahren in Zusammenarbeit mit anderen Forschungsorganisationen und der Österreichischen Bodenkundlichen Gesellschaft in Form von Projekten gefördert. Die EU-Bodenpolitik (z.B. EU-Richtlinien, EU-Soil Mission etc.) hat weiters die Bedeutung des Bodens in unserer Gesellschaft unterstrichen.
SZB: Ja, das BFW und die BOKU, wir arbeiten hier eng zusammen. Bei uns laufen viele Projekte wie etwa HULK, Artenschutztage, Futuresoils, Döblinger Ferienspiel, Kinderuniversität, BOKU-Mobil, NB Soil, Mission „Soil and Waters“, alle beschäftigen sich mit Bodenbewusstseinsbildung. Im EU-Programm MISSION Soil ist eines der acht Ziele: Soil Literacy, also Bodenbildung. Die EU-Bodenpolitik verfolgt derzeit drei große Ziele: Erstens verstärkte Bodenforschung und -weiterbildung im Rahmen der Forschungsförderung Horizon Europe (Mission Boden). Zweitens: EU Law on Soil Monitoring and Sustainability – in jedem Land sollen neue Bodenbehörden eingerichtet werden. Auch hier spielen sowohl das BFW mit den Österreichischen Bodenkarten und die BOKU mit ihrem Expert:innenwissen eine wichtige Rolle.
Drittens: Certification of Carbon Removal als Anreiz für die gesamte Agrarwirtschaft, mehr CO2 in Böden als Humus zu speichern und damit dem Klimawandel entgegen zu wirken. Verschiedenste Maßnahmen zur Humusanreicherung wie Winterbegrünungen, Kompostausbringung und Minimalbodenbearbeitung werden gefördert. Die Theorie der „4 Promille Initiative“ besagt: Wenn es uns gelingen würde, jedes Jahr den organischen Kohlenstoffgehalt im Boden (Humus) um vier Tausendstel zu erhöhen, so könnten wir die jährlichen CO2-Emissionen durch Industrie und Verkehr einfangen. Das ist aber sehr theoretisch, praktisch lässt sich nur ein kleiner, jedoch wichtiger Teil umsetzen.
Worin liegen die Gemeinsamkeiten von Waldboden und Ackerboden und worin unterscheiden sie sich?
EL: Sowohl Waldböden als auch landwirtschaftlich genutzte Böden sind eine endliche Ressource in unseren Ökosystemen, als solche nicht beliebig vermehrbar und bedürfen daher einer sorgfältigen Bewirtschaftung, um alle Bodenfunktionen langfristig erfüllen zu können. Waldböden haben einen naturnahen Profilaufbau, sind vielfältig und daher durch eine breite Amplitude von Bodeneigenschaften gekennzeichnet. Im Wald gibt es, verglichen mit der Landwirtschaft, nur wenig Möglichkeiten, diese Eigenschaften zu beeinflussen. Daher muss man die Waldbewirtschaftung an die jeweiligen standörtlichen Vorgaben anpassen. Tendenziell sind Waldböden nährstoffärmer als landwirtschaftliche Böden. Dieser Umstand ist meist historisch bedingt und hat seinen Ursprung bereits im Mittelalter. Wälder auf besseren Böden wurden gerodet und für landwirtschaftliche Nutzung herangezogen, nährstoffärmere Boden, insbesondere in „Ungunst-Lagen“, wurden weiter dem Wald überlassen.
SZB: Wie Ernst gesagt hat, ist der Profilaufbau ein wesentlicher Unterschied. Ackerböden werden maschinell bearbeitet, das heißt die obersten 30 cm werden regelmäßig umgedreht: Das führt dazu, dass die Böden belüftet werden. Durch diese Umarbeitung wird Humus abgebaut, der Boden wird auch durch Maschinen verdichtet. Es gibt daher einen geringeren Humusgehalt in Ackerböden als in Waldböden. Im Verhältnis sind am Acker viel weniger Pilze und Arthropoden, also Gliederfüßer und krabbelnde Tiere, vorhanden als im Wald. Der Waldboden enthält auch spezielle Mykorrhizapilze, die die Bäume miteinander verbinden und über die Nährstoffe ausgetauscht werden können. Die Waldböden sind in der Regel saurer. Das bewirkt, dass zum Beispiel in Nadelwäldern kaum Regenwürmer vorkommen. Dadurch kommt es zu diesem ausgeprägten Profil mit sehr viel stärkerer Horizontierung (Schichtung) als bei den Ackerböden. Grünland- bzw. Wiesenböden sind wieder anders, sie sind stark durchwurzelt, haben meist viel Humus, das heißt eine hohe CO2-Speicherung. Sie haben ein reiches Bodenleben mit vielen Bakterien, Fadenwürmern, Einzellern, Larven, Schnecken und Regenwürmern.
Frau Zechmeister-Boltenstern, würden Sie bitte über das Projekt EJP-Soil erzählen?
SZB: Das Programm trägt den Titel: „Hin zu einer klimafreundlichen nachhaltigen Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Böden“ und wird in Österreich von mir koordiniert. EJP-Soil ist ein europäisches Gemeinschaftsprogramm zur landwirtschaftlichen Bodenbewirtschaftung, das sich mit wichtigen gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Klimawandel und der zukünftigen Nahrungsmittelversorgung befasst. Ziel ist es, das Verständnis der landwirtschaftlichen Bodenbewirtschaftung zu verbessern, indem Synergien in der Forschung gefunden, Forschungsgemeinschaften gestärkt und das öffentliche Bewusstsein geschärft werden.
EJP-Soil ist das erste Forschungsprogramm mit einer so hohen Anzahl von 44 Projekten (26 interne Projekte +18 externe Projekte). 80 Millionen Euro (50 % Eigenanteil, davon müssen national aufgebracht werden). Österreich ist der drittstärkste Partner mit 163 Mitarbeiter:innen (von 1272 in der gesamten EU) die an 18 internen EU-Projekten mitarbeiten. Neben BFW und der BOKU arbeiten auch das BAW, die AGES, das Umweltbundesamt und der Verein BIOS Science mit.
Websites:
www.ejpsoil.eu
www.bfw.gv.at/fachinstitute/waldoekologie-boden
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